Eine Ausstellungschronik zwischen Vernissage und Versteigerung
Erster Ausstellungstag / 07.09.2024 / Vernissage
85 Besucher lauschten am 07.September der Laudatio von Catharina Muth. Frau Muth kennt die anwesenden 3 Streetart-Maler persönlich und plauderte locker heraus aus dem Kindheits-& Jugend-Sandkästchen der Künstler. „In ihrer Anfangsphase bewegten sich die talentierten StreetArt-Maler manchmal irgendwo an der Grenze der Legalität“, erzählte Frau Muth. Sie alle malten und sprayten gerne. Neben Ihrem Hobby erlernten alle einen Beruf, gründeten eine Familie und lebten in der Region Neubrandenburg. Mit zunehmendem Bekanntheitsgrad in der Streetart-Szene brachte es dann Künstlernamen hervor: Mr. Tekso, FORME, DESYR und DAWS (früher Mirkone ) waren geboren. Eines der Bürgerstiftungs-Projekte ist es, Neubrandenburger Kunst zu fördern…. und so wurde die Idee, hässliche Schaltkästen auf den Neubrandenburger Straßen kunstvoll zu gestalten, in die Tat umgesetzt. Bürger und Spender konnten Schaltkästen in ihrem Wohnumfeld benennen und oftmals auch ein Wunschthema mit den Streetart-Künstlern persönlich besprechen. Wie das Motiv dann bildlich in Szene gesetzt wurde, das lag letzt endlich ohne jeglichen Einfluss von außen in der Phantasie der pinsel schwenkende Künstler. Tiere, Blumen, Insekten, Landschaften, Gebäude, Persönlichkeiten oder auch Geschichtsthemen rund um Neubrandenburg nahmen für die Nachwelt bildhaft Gestalt an. Mit den Bürgerstiftungs-Projekten “Graffiti in NB” 2020/ 2021 und “Streetart in NB” 2022/2023 bekamen über 120 Schaltkästen ein wundervolles, neues Gewand. Die StreetArt- Künstler fanden zueinander und machten bei den gemeinsamen Projekten als „MALZEITCREW“ Furore. Inzwischen sind die Künstler mit ihren Aufgaben gereift und beherrschen ein sehr viel größeres Repertoire- ihre Bücher sind für Auftragsmalerien gut gefüllt. so dass die Bürgerstiftung zusammen mit RWN ART den Künstlern der „MALZEITCREW“ an den Wochenenden 7./8. September 2024 und 14./15. September 2024 die Ausstellung eigener Arbeiten ermöglichte. Auf 110 Quadratmeter wurden 35 Kunstwerke präsentiert. Dazu gab es Kuchen, Getränke und coole Musik. Henrik Müller, besser unter seinem Künstlernamen „Poesieposer“ bekannt, legte Single-Platten auf. Mr. Tekso, FORME und DESYR stellten sich allen Fragen des interessierten Publikums und tauchten zusammen in die Kunstwerke ein. Immer wieder interessant: Was will uns der Maler mit seinem Kunstwerk sagen und was erkennt der Betrachter ? 20 Stunden und mehr vergehen, ehe 70×50 oder 100×70 Leinwand mit Sprühfarbe& Acryl gestaltet sind. Gar nicht verifizierbar ist dabei die lange Zeit von der Ideenfindung bis zur praktischen Umsetzung. So gesehen scheint es geschmacklos, ein Bild mit Arbeitsstunden und Materialwert beziffern zu wollen. Wenn ein Bild gefällt, findet es seinen Liebhaber! Knapp eine Stunde nach Ausstellungsbeginn waren schon 4 Bilder mit einem roten Punkt markiert – verkauft!
Zweiter Ausstellungstag / 08.09.2024 / Live Painting
W.Holze fragte und löcherte die MALZEITCREW schon einige Wochen im voraus , was denn nun gemalt werden würde…. doch das hatten Mr. Tekso, FORME und DESYR tatsächlich bis zum letzten Augenblick noch gar nicht entschieden. Zum Live Painting kamen deutlich mehr Besucher, vermutlich auch, weil der Neubrandenburger Blitz am Sonntag über die Streetart-Ausstellung auf der Titelseite berichtete. Gut 150, vielleicht auch 200 Besucher beobachteten im Laufe der gesamten Veranstaltung das Live- Painting, darunter auch viele Leute aus der Streetart- Szene. Man kennt zwar keinen, aber es ist cool, als Besucher in der Graffiti-Kunstblase mit zu schweben. Kurz vor 14:00 Uhr wurden die ersten Linien auf die 3 Meter x 1,5 Meter große Leinwand gezeichnet…. was war bzw. wurde denn nun das Motiv? Beim ersten flüchtigen Blick tippten einige anwesende Laien auf eine Kaffeekanne, doch mit jedem weiteren Sprühstoß aus der Kartusche wurde das Bild klarer und deutlicher: Pinsel & Dose sind beim Steert Art Painting essentiell, aber mit einem Bleistift fängt immer alles an. Wie am ersten Ausstellungstag waren auch heute die Künstler für jeden Ausstellungsbesucher nahbar, beantworteten Fragen und erklärten mit Engelsgeduld ihr Handwerk und welches Werkzeug wofür benutzt wird. Auch viertorestadt.de nutzte für Sie, verehrte Leserschaft, die Gelegenheit, in die Tiefen der Spraydosen einzutauchen. Ein Vergleich mit normalen Sprühdosen aus dem Baumarkt gestaltet sich wie ein Vergleich von Äpfel und Birnen: Die Graffiti- Sprühdosen haben in der Farbe wesentlich mehr Pigmente, als normale Baumarkt-Spraydosen. Dagegen sind die TÜV- Vorgaben (Temperaturbelastung, mechanische Beanspruchung usw.) bei Graffiti-Spraydosen nicht so hoch. Der Bedarf der vielen Streetart-Maler ist so groß, dass sich mit der Zeit einige Firmen auf Graffiti- Utensilien spezialisiert haben. Marktführer sind Firmen aus Italien und, man höre und staune, auch aus Deutschland. Bekannte Graffiti-Hersteller sind Montana, Molotow, Look oder auch Kobra. Hinzu kommen über 100 Caps-Aufsätze (das sind die auswechselbaren Sprühdüsen). So kann man schmale Linien, Nebel oder auch mit einem Sprühstoß einen halben Quadratmeter ausfüllen…. dann allerdings ist die Dose auch sehr schnell alle. Für die Buchstaben „MALZEITCREW“ kamen heute und hier spezielle Skinny-Caps zum Einsatz. Die letzte Frage: „Woher bezieht Ihr Euer Equipment?“ wurde von FORME beantwortet: „Natürlich aus dem Internet; gerne fahre er auch nach Rostock und kaufe bei Full Color ein“, erzählte er mir. Eine Premiere feierte heute auch eine praktische Spende an die Bürgerstiftung Neubrandenburg: Ein großer Gasgrill. Als Grillmeister am heißen Rost fungierte, wie bei den vergangenen Bürgerpicknicks, Lars Krychowski. Er grillte leckere Thüringer. Frank Fiedler an den Pulten umrahmte den kulinarischen Genuss rund ums Live-Painting. 16 :45 Uhr war das Live- Painting- Werk vollendet. Und was wird nun aus dem Bild ? Paul Raddatz, der in den letzten Jahren viele Ausstellungen begleitete, machte einen Vorschlag, das Bild am nächsten Wochenende zum Abschluss der Veranstaltung öffentlichkeitswirksam zu versteigern. „Gute Idee“, sagte Wilfried Holze und so wurde kurzfristig der nächste Sonntag vereinbart.
Dritter Ausstellungstag / 14.09.2024 / Schauen und genießen
Viele Besucher kamen an diesem Tag leider nicht. Doch den 35- 40 Besuchern gefiel die Ausstellung so gut, dass sie ihren Kunstgenuss mit dem Füllen der Spendenbox wohlwollend honorierten. An dieser Stelle will viertorestadt.de etwas auf den Gründungsmythos der Bürgerstiftung Neubrandenburg und die Funktion der Spenden eingehen. 87 Bürger aus Neubrandenburg und der Region spendeten im Jahre 2017 mindestens 1000 € und legten damit einen Grundstock von 107.000 €. Weitere 21 Zustifter konnten im Laufe der Jahre gewonnen werden, so dass der gegenwärtige Grundstock 141.000 € beträgt. Die Stifter geben Vermögen ab. Das Geld wird nicht ausgegeben, sondern verbleibt im Topf . Mit den Grundstock-Kapitalerträgen des Stiftungsvermögens fördert die Bürgerstiftung Projekte und Vorhaben zum Wohle der in und um Neubrandenburg lebenden Bürger und der ihr nachfolgenden Generationen. Hinzu kommen kleinere und größere Spenden, wie z.B. das Geld aus den Spendenboxen oder normale Spenden bzw. Überweisungen auf das Konto der Bürgerstiftung. Eine Spende wird zeitnah (bis zum Ende des übernächsten Jahres) im Rahmen der Satzung ausgegeben. Eine Spende mit dem Vermerk „Stiftung“ füllt wie beschrieben den Stiftungs-Grundstock. Ist Ihr Interesse an einer Spende oder Zustiftung für die Bürgerstiftung geweckt? Nähere Infos finden Sie auf der Homepage der Bürgerstiftung Neubrandenburg.
Vierter Ausstellungstag/ 15.09.2024 / Der Tag der Versteigerung
Das Wetter zeigte sich am letzten Ausstellungstag von seiner guten Seite- knapp 20 Grad und satt-blauer Himmel bis zum Horizont. Die Ausstellung war gut besucht, doch werden im Publikum auch Leute sitzen, die wirklich mitbieten? Erschwerend zum schönen Wetter war in jedem Fall, dass zeitgleich in der Neubrandenburger Konzertkirche das Abschlusskonzert des Festspielsommers 2024 erklang, so dass vermutlich viele potentielle Bieter gar nicht bei der Versteigerung vor Ort waren. Schade auch, dass heute kein offizieller Vertreter der Stadt Neubrandenburg vorbei schaute und ein Gebot abgab. Irgendwo in den über 400 Rathauszimmern oder auf den langen Fluren hätte das Bild „MALZEIT“ sicher einen würdigen Platz gefunden. Um 15:15 Uhr ergriff Herr W. Holze das Wort und sprach 10 Minuten lang über das Kunstwerk „MALZEIT“ und seine Künstler. 15:25 Uhr übernahm der Auktionator & Gründungsstifter Malermeister Schwanke die Szenerie und begann die Versteigerung mit den Worten: „Herr Holze, sie reden zu viel…. Wen juckt sein Portemonnaie“ ? War nun der gelbe Schlips, der gewaltige Hammer, die Stimme oder die Aura des Malermeisters der Auslöser für ein Gebot? Schnell wurden 100 € geboten. Ein potenter Beobachter im Trainingsanzug fragte , während er seinen Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger aneinander rieb, wie man bezahlen könne, wenn man nichts dabei habe. Als das geklärt war, schmetterte er sein bis zur Marina hallendes Gebot: 250€! Das stellte sich als zu wenig heraus. Schnell erhöhte ein Mitbewerber auf 300 €. Mit einem gewaltigen Schwanke-Hammerschlag ging das Bild dann für 350 € an Familie Wielandt. „ Ein tolles Bild, aber wo stellen wir es hin? … Es geht ja um Neubrandenburg und Graffiti ist ja ein Neubrandenburger Thema“ sagte das Familienoberhaupt nach dem Zuschlag freudig bewegt. Im Rahmen der Versteigerung stiftete Herr Olaf Jammrath die von Mr. Tekso geschaffene Bildtriologie „African Soul“. Die kurze Versteigerung bekam zwischendurch ordentlich Pep, denn Auktionator Schwanke und der Bürgerstiftungsvorstand Wilfried Holze leisteten sich immer wieder pikante Rededuelle a la Delling vs. Netzer, nur dass es nicht um Fußball ging. Im Rahmen der Versteigerung stiftete Herr Olaf Jammrath die von Mr. Tekso geschaffene Bildtriologie „African Soul“. Die drei kleinen Bilder kamen für wirklich günstige 80 € unter den Hammer.
Was bleibt für ein Fazit aus den 4 Ausstellungstagen zu ziehen? Die gesamte Veranstaltung wurde durch ein breites Publikum und durch viele freiwillige Helfer & so manche Spende zu einem großen Erfolg. Dass die MALZEITCREW eine eigene Ausstellung machen konnte, würdigt die Schaltkasten-Arbeiten der Graffiti- Maler (im gesamten Stadtgebiet werden zum Ende dieses Jahres 140 Schaltkästen gestaltet sein) auf eine besondere Art. Über 10 ausgestellte Werke fanden ihren Liebhaber; hinzu kamen Gespräche und Intressensbekundungen von Privatpersonen bis hin zu Geschäftsführern für zukünftige MALZEITCREW – Auftragsarbeiten. Das Live- Painting war großartig und noch großartiger war, dass Mr. Tekso, FORME und DESYR für das Bild „MALZEITCREW“ kein Honorar forderten, sondern Ihr Kunstwerk der Bürgerstiftung für die Versteigerung einfach mal schenkten. Der Versteigerungserlös geht zu 100% an die Bürgerstiftung und soll in ein noch nicht verifiziertes Kunstprojekt einfließen.